Michael Klaus Lesebuch
- Autor
- Michael Klaus
- Herausgeber
- Walter Gödden
- VÖ-Datum
- 01.10.2012
- ISBN
- 978-3-89528-945-3
- Bandnr.
- 36
- Auswahl
- Walter Gödden
Aus der Kategorie Kleine Westfälische Bibliothek
Michael Klaus Lesebuch
"1973 machte ich Ernst. Ich ging in die Stadtbücherei, durch die Glastür, am Tresen vorbei, geradeaus bis zu den Fenstern, dann etwas nach rechts und setzte mich an einen kleinen grauen Tisch und wollte Schriftsteller werden. Mit dem Rücken saß ich zur Gelsenkirchener Lyrik, vor mir alphabetisch die Romane der Weltliteratur. Also Josef Büscher im Nacken und vor der Brust Balzac. Ich packte Papier und Kugelschreiber aus und schaute aus dem Fenster. Es war eine merkwürdige Zeit. Die Lehramtsstudenten wollten Arbeiterdichter werden. Die Arbeiterdichter wollten natürlich die Arbeiterklasse befreien. Aber viel lieber wollten sie ins Große Deutsche Gedichtbuch von Karl Otto Conrady. Und die eine Frauenbefreiungslyrikerin, die ich kannte, ging erst dann in ihrem Polarfuchsjäckchen auf die Straße, wenn sie zu Hause ihrem Mann die Häschenpantoffeln angewärmt hatte."
(Michael Klaus, Lesebuch)
Michael Klaus (Brilon-Wald 1952-2008 Gelsenkirchen) wurde im Sauerland geboren. Seine wirkliche Heimat aber war das Ruhrgebiet. Hier leben auch die Helden seiner Romane, seiner Jugendbücher, seiner über zwanzig Hörspiele und Spielfilme. Klaus war ein Meister der Beobachtung. Unentwegt war er auf der Suche nach neuen Geschichten. Er fand sie an der Straßenecke, in den Hinterhöfen, beim Gespräch in der Eckkneipe, auf dem Wochenmarkt, vor dem Fischrestaurant. Tragikomisches Potenzial lauert überall, Michael Klaus spürte es geradezu hellsichtig auf. Über Gelsenkirchen-Buer schrieb er einmal: »Dieser Stadtteil wird nachts beleuchtet von der Panik seiner Bewohner.« Klaus' Hauptdarsteller sind bevorzugt Typen mit liebenswerten Macken, wie das Ruhrgebiet sie, scheint’s, in Serie hervorbringt. Es sind die kleinen Helden des Alltags, die aber groß sind in ihrem Wollen und manchmal hilflosen Streben. Klaus schlug sich ganz auf ihre Seite. Im einem Nachruf auf ihn war zu lesen: Seine Erzählungen sind »bis zum Bersten, bis in jeden Buchstaben hinein voll von Welt. Von unserer Welt, unserem Alltag und den Verhältnissen, die wir kennen, aber die uns erst einer wie Michael Klaus benennen, beschreiben, erzählen muss, damit wir sie auch erkennen«.
Klaus besaß ein geniales Händchen für Dramaturgie. Er inszeniert so, wie er es selbst am liebsten hatte: lebendig, bizarr, turbulent. Seine Geschichten sind wie Kurzfilme, Slapstickeinlagen inklusive. Hinzu kommt seine lakonische Sprache. Alles wird geradeheraus gesagt mit einer ruhigen Neigung zum schnörkellosen, notfalls brutal-realistischen Klartext. Klaus verfasse »kurze, aber keine kleinen Texte« schrieb der Literaturwissenschaftler Erhard Schütz. Die »ZEIT« nannte Klaus’ Erzählungen »virtuos verschratet«.