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Eine Lesung aus Else Lasker-Schülers "Peter-Hille-Buch"

Autoren
Peter Hille, Else Lasker-Schüler
Herausgeber
Walter Gödden
VÖ-Datum
21.08.2012
ISBN
978-3895289392
Verlag
Aisthesis
Auswahl
Michael Kienecker
Peter Hille / Else Lasker Schueler Audio

Aus der Kategorie Live! auf dem Kulturgut

Eine Lesung aus Else Lasker-Schülers "Peter-Hille-Buch"

"Es gibt poetische Bücher, hochpoetische Bücher und es gibt dieses eine Buch, Else Lasker-Schülers "Peter-Hille-Buch" - ein Solitär, ein poetisches Rarissimum, ja, wenn man so will, ein poetisches Manifest.

Aber der Reihe nach. Wir befinden uns in Berlin um 1900. Und begegnen: ihm - dem Erzpoeten mit Rauschebart, Peter Hille. Und ihr - der orientalischen Prinzessin, in bunte Gewänder gehüllt, tänzelnd, flötespielend. Auch sie eine Person, wie aus dem Märchenbuch herausgepurzelt. Beide sind Stadtgespräch - Freaks, würde man heute vielleicht sagen. Man sieht sie in Cafes, in literarischen Gesellschaften, in den Cabarets, die damals in Berlin wie Pilze aus dem Boden schossen.

Er, Hille, Dichterkrösus im Gewande eines Bettlers. Das Abbild eines "armen Poeten" schlechthin. Unterordnung? Kompromisse? Ein geregelter Beruf? Damit hat er schon in jungen Jahren abgeschlossen. Er lebt in den Tag hinein, oft dem Hungertod nahe, schreibt und schreibt und schreibt - seine Texte schleppt er in Säcken mit sich herum, die er gelegentlich bei Mietern für säumige Zahlungen zurücklässt - und nie abholt. Sie, Else Lasker-Schüler, 15 Jahre jünger, Tochter aus gutem, aus bestem Hause. Ihr Vater ist Privatbankier. Ihre jüdische Herkunft prägt ihre spätere Biografie, ihre Lebens-, aber auch ihre Leidensgeschichte, ihre spätere Flucht nach Palästina. [...]

Else Lasker-Schüler ist von Peter Hille fasziniert. Von seinem Bücherwissen, das alle Kulturen umspannt. Von seiner Toleranz gegenüber den Religionen, gegenüber dem Judentum. Seiner Geistes- und Gemütstiefe. Ist vor allem aber fasziniert von der Radikalität, mit der er sein Künstlertum definiert. Hille wird ihr uneingeschränktes Vorbild. Auch Else Lasker-Schüler beginnt, ihr Künstlertum immer radikaler aufzufassen. [...]

Dieses ["Peter-Hille-Buch"] erschien dann allerdings erst 1906, zwei Jahre nach Hilles Tod. Es memoriert, streift, rekapituliert, fabuliert eine Zeit der Idylle, in der Hille und Lasker-Schüler ganz ihr Künstlertum auslebten und sich eine eigene, poetische Welt imaginierten. Es thematisiert aber auch einen Bruch in der Beziehung: "Es war im Spätfrühmonat 1903, als mich die Furcht vom Erdältesten vertrieb. Die Jünglinge finden mich an der Hecke." Der Grund für die Misstöne: Die Schülerin war keine Schülerin mehr. Sie war ihrem Mentor ebenbürtig geworden. Hatte ihren eigenen Ton gefunden. Traumfiguren waren zum Leben erwacht, das Tor zu einer schillernden Märchenwelt war weit aufgestoßen.

Bald darauf starb Hille. Stürzte, schwer von Asthma gezeichnet, von einer Parkbank. Er war nicht mehr zu retten. Er war nie zu retten.  "Ich schrieb über Peter Hille, der ein Prophet war", sagt Else Lasker-Schüler später. Das "Peter-Hille-Buch" sei ihre Bibel, werde immer ihre Bibel bleiben. Es sei ein Buch, "nur für Prinzen und Prinzessinnen geschrieben"."

Walter Gödden


Sprecher: Therese Berger, Peter Schütze
Textauswahl: Michael Kienecker (Peter-Hille-Gesellschaft)
Idee und Hg.: Walter Gödden

Mitschnitt einer Lesung vom 23. Februar 2012 auf dem Kulturgut Haus Nottbeck / Museum für Westfälische Literatur, Oelde-Stromberg.

Über den Autor

Peter Hille (* 11. September 1854 in Erwitzen bei Nieheim, Westfalen; † 7. Mai 1904 in Berlin) wurde als Sohn eines Rentmeisters und Lehrers geboren. Von 1869 bis 1872 besuchte er das Gymnasium Marianum Warburg, danach das Gymnasium Paulinum in Münster, wo er Mitglied der geheimen Schülerverbindung Satrebil wurde. Die Gruppe lasKarl Marx, August Bebel, Charles Darwin, auch Johann Georg Hamann, Pierre-Joseph Proudhon, Karl Gutzkow und Ludwig Büchner. 1874 musste Hille wegen ungenügender Leistungen das Gymnasium ohne Abschluss verlassen und arbeitete kurze Zeit als Protokollschreiber beim Staatsanwalt in Höxter und als Korrektor in einer Leipziger Druckerei.

1877 schrieb er an der Zeitschrift Deutsche Dichtung mit, die von den Brüdern Heinrich und Julius Hart gegründet worden war. Hier erschienen seine ersten Gedichte. Für die Deutschen Monatsblätter schrieb er literaturwissenschaftliche Beiträge. Eine Zeit lang arbeitete er auch in Bremen an der sozialdemokratischen Zeitung Bremer Tageblatt. 1880 lebte er in den Londoner Elendsvierteln, lernte Sozialisten und Anarchisten kennen.

1884 finanzierte er mit seiner Erbschaft eine niederländische Schauspielertruppe, die ihn mit in den Ruin riss. Er lebte zeitweilig als Obdachloser, spielte jedoch trotzdem eine wichtige Rolle in der naturalistischen Bewegung.

1888 kam seine Tuberkulose zum Ausbruch. Karl Henckell rettete ihn vor dem Verhungern und nahm ihn mit nach Zürich. Doch bald war Hille wieder unterwegs, diesmal nach Südeuropa. 1891 suchte er Zuflucht bei seinem Freund Julius Hart. Die Polizei verfolgte ihn als angeblichen Sozialdemokraten, er flüchtete durch ganz Deutschland, bis er 1895 nach Berlin zurückkehrte. Die naturalistischen Schriftsteller sorgten für ihn. Die Neue Gemeinschaft bestritt seinen Lebensunterhalt. 1902 eröffnete er ein Kabarett. Bald darauf erlag er seinem chronischen Lungenleiden und starb am 7. Mai 1904 im Alter von 49 Jahren.

Quelle: Wikipedia

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